Maske auf, Maske ab

Ich kann nicht mehr einatmen, muss jetzt lange die Luft anhalten, habe ich gedacht, als ich zum ersten Mal mit Maske einkaufen gegangen bin. Natürlich habe ich schnell gemerkt, dass ich doch durch den Stoff atmen kann, dass ich doch Luft bekomme. Aber das beklemmende Gefühl ist geblieben, auch, nachdem ich schon wieder zuhause war.

Mittlerweile könnten wir uns alle daran gewöhnt haben, an dieses sichtbarste Zeichen der drohenden Pandemie. Nikola Richter schreibt in ihren Beobachtungen für 54books: „Die Maske ist nun also ein Alltagsgegenstand geworden. Bei uns hängen selbstgenähte Masken am Schlüsselbrett, damit man sie für den Einkauf nicht vergisst mitzunehmen.“ (Mehr dazu in ihrem Text „Der Corona-Effekt: Die Angst vor dem anderen“) Stimmt das, ist die Maske im Alltag angekommen oder ist sie – zumindest auf den Straßen Wiens – schon wieder am Verschwinden?

Ich habe schon damals, als ich zum ersten Mal hinausgegangen bin – damals, vor ein paar Wochen – „Maske“ gedacht, nicht „Mund-Nasen-Schutz“. Das sagt keiner und es wissen scheinbar auch viele nicht, dass die Nase mitgemeint ist. Bestimmt hat das auch damit zu tun, dass viele denken, sie könnten sie nicht tragen, sie bekommen keine Luft. Auf Dauer, bis zur Kassa, ist ihnen das schon zu anstrengend. Dabei erklärt der Deutsche Allergie- und Asthmabund in seinem Blog, dass selbst Menschen mit Atemwegserkrankungen Masken tragen könnten: „Der Bundesverband der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner, BdP, befürwortet die Pflicht zum Tragen eines einfachen Mund-Nasen-Schutzes in öffentlichen Gebäuden und im Nahverkehr im Rahmen der Covid19-Pandemie. Da diese einfachen Schutzmaßnahmen – vom professionellen Op-Mundschutz bis hin zu selbst hergestellten Textilmasken – nicht dicht abschließen, ist die Atmung kaum erschwert, und der Einsatz für die meisten Menschen problemlos möglich. Das gilt auch für die meisten Asthma- und chronisch Lungenkranken.“ Lediglich das Tragen von professionellen Atemschutzmasken mit Zertifizierung könnte problematisch sein: „Problematisch ist der Einsatz von FFP2- oder FFP3-Masken für Menschen mit vorgeschädigter Lungenfunktion.“ (Der Blog-Beitrag findet sich hier: https://www.daab.de/blog/2020/04/probleme-mit-der-maske-liegt-es-an-atemwegserkrankungen/)

Das bedeutet allerdings nicht, dass niemand unter dem Tragen von Masken leidet: So ist zum Beispiel für schwerhörige, gehörbehinderte und gehörlose Personen die Kommunikation dadurch stark eingeschränkt (worauf unter anderem der Deutsche Gehörlosen-Bund in einer Pressemitteilung hinweist). Auch Babys und Kleinkinder benötigen den Blick- und Sichtkontakt zu ihren Eltern und können durch das Tragen von Masken irritiert werden, wie der Kinderarzt Renz-Polster in seinem Blog schreibt: „Kleine Kinder brauchen die Signale Deines Gesichts aber auch um ihr Verhalten zu steuern. Sie wollen in ihrem Handeln ‚begleitet‘ sein und sind dafür auf Rückmeldungen angewiesen.“

Schwer tun sich mit dem Tragen aber sichtlich viele, die nicht mehr auf die Signale ihrer Eltern angewiesen wären: Ich bin bestimmt nicht die Einzige, die in den letzten Wochen mehrmals den Impuls hatte, seltsame Tragevarianten (hängt gerade noch an einem Ohr), interessante Zwischenhandlungen (mal kurz für ein Tschick hinunterschieben) oder Aussetzer (Maske runterschieben, Plastiksackerl abschlecken, um es zu öffnen, Maske wieder rauf) nicht nur zu beobachten, sondern auch zu dokumentieren. Und mich damit natürlich darüber lustig zu machen. Ich habe es dann doch gelassen, weil es für mich nichts ändern würde, nicht an der Situation und nicht am Unverständnis darüber, wie sorglos viele damit umgehen.

Warum ist das so schwer? Das häufigste Argument, das nicht nur ich immer wieder gehört habe: Wir sind halt einfach nicht daran gewöhnt. Das soll offenbar so viel heißen wie: Wir können uns nicht daran erinnern, wie wir die Maske richtig auf- und absetzen, dass wir sie während des Tragens nicht angreifen sollen, dass wir sie nicht einfach nach unten schieben sollen, wenn wir sie nicht mehr brauchen. Dass wir sie reinigen oder entsorgen sollen, beides ordnungsgemäß.

„Bei den Asiaten ist das was anderes“, wird dann gern im Anschluss noch gesagt. „Die Asiaten“ sind angeblich daran gewöhnt. Dass etwa in China lange Kampagnen und rigorose Vorschriften notwendig waren, um eine Maskenpflicht durchzusetzen, erklärt allerdings die Historikerin Vivian Huang in der 99%-Invisible-Podcast-Folge „Masking for a Friend“: „Vivian Huang, a historian at the Shanghai Library, says that they only became “normal” in China because they were required by the state. Wearing masks was promoted through propaganda posters, in the newspapers, and various other public health campaigns. She says that the adoption of masks was actually a slow process that needed to be learned.“ Auch „die Chinesen“ haben bis zur SARS-Epidemie 2003 gebraucht, um Gesichtsmasken selbstverständlich richtig zu verwenden – und damit rund hundert Jahre bis zur Selbstverständlichkeit: „By the time the SARS epidemic hit China in 2003, the face mask had become pretty common, and people by this point already knew what to do. Huang says it really has taken Chinese people 100 years to get to the point of acceptance of wearing masks during an infectious disease outbreak and now to the point when people just wear it when they’ve got a cold to protect others.“

Hundert Jahre haben wir nun nicht zur Verfügung, etwas schnelleres Lernen wäre angebracht. Oder angebracht gewesen? Denn viele, die ich dabei beobachte, wie sie ihre Maske unterm Kinn oder am Ohr spazieren tragen, stehen in Gruppen zusammen, sprechen einander ins Gesicht, als ob nie etwas gewesen wäre. Während ich mich immer wieder über mich selbst ärgere, wenn ich die Maske doch zwischendurch außen anfasse, scheinen sich viele andere Mitte Mai wieder sicher zu fühlen. Der Ausnahmezustand ist in den Köpfen nicht nur vorbei, er hat nie wirklich angefangen.

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